Die Verwandlung

Kafkaesk:
Besuch der Inszenierung der Novelle „Die Verwandlung“ von Franz Kafka

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ – Mit diesem Satz beginnt Franz Kafkas berühmte Novelle „Die Verwandlung“. Jene Metamorphose des Handlungsreisenden Gregor Samsa verstört nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Familie, als deren Hauptverdiener er nun zwangsläufig ausfallen muss. Vor den Augen der Öffentlichkeit verbirgt sich der Protagonist ab sofort in seinem Zimmer und stellt sich schließlich den verschiedenen Konsequenzen seiner unfreiwilligen Verwandlung. Wird er anfangs noch mit Nahrung versorgt, scheut seine Familie zunehmend den Kontakt mit dem immer mehr als „schmarotzend“ betrachteten Ungeziefer. Ekel und Unverständnis gegenüber dem einstigen Familienmitglied potenzieren sich schließlich in einem Wutausbruch des Vaters, der Gregor daraufhin tödlich verwundet. Die Überreste des Verstorbenen entsorgt die Familie abschließend lieblos im Hausmüll.

Eine derart befremdliche Geschichte dramaturgisch zu inszenieren ist ein kühnes, wenn nicht gar kafkaeskes Unterfangen, dem sich das Landestheater Schwaben am 23. Februar 2018 im Krumbacher Stadtsaal vor den Augen der Q12 des Ringeisen-Gymnasiums Ursberg stellte. Drei zentrale Intentionen galt es dementsprechend bühnentauglich in Szene zu setzen: Den teils autobiographisch geprägten Vaterkomplex, die Ausbeutung des zur Ware verkommenen Individuums durch eine kapitalistisch geprägte Arbeitswelt sowie die an Sigmund Freud anknüpfende psychoanalytische Betrachtung des Menschen als ein „Ich“, das von der Moral des sogenannten „Über-Ichs“ und den Trieben des „Es“ bestimmt wird.

Diese durchaus komplexen Deutungsansätze wurden auf der Bühne zusätzlich abstrahiert: Drei Darsteller verkörperten die Freudschen Instanzen der Psychoanalyse. Ihre blonden Langhaarperücken verwiesen auf die Konsumgesellschaft einer kapitalistisch bestimmten Welt und die vielschichtigen Konflikte der Figur Gregor Samsa mit den einzelnen Familienmitgliedern. Sie wurden durch die Darsteller des „Ichs“, des „Es“ und des „Über-Ichs“ – als Stellvertreter Gregors, der Schwester und der Eltern – im Spiel veranschaulicht. Die Schauspieler rezitierten hierfür Passagen aus Kafkas Novelle im Dialog und kommentierten die Handlung mitunter im Stil des epischen Theaters, etwa durch einen Song über den Kapitalismus, begleitet von einer verstimmten E-Gitarre, oder durch das Beschmieren von Haupt, Haar und Körper mit einer schlammartigen Masse in der Abschlussszene der Bühneninszenierung. Der durch jene Verfremdungseffekte beim Betrachter provozierte Ekel trug über weite Strecken leider nicht zur Identifikation mit der verstörenden Handlung und ihren Figuren bei, sodass der dargestellte Schmerz und die Verzweiflung des Protagonisten aufgrund der sich zuspitzenden Ablehnung und Ausgrenzung durch die Familie kaum nachvollzogen werden konnten. Erst im Finale des Stücks – in dem Gregor Samsas „Ich“ verstoßen im Schlamm liegt, der seine Minderwertigkeit symbolisiert und in dem er durch die Kaltherzigkeit und Widerwärtigkeit seiner Familienmitglieder zu Tode kommt – wurde das dargestellte Leid erfahrbar und berührte den ein oder anderen Zuschauer.

Kafka lehnte eine bildhafte Darstellung seines literarisch konzipierten Ungeziefers stets ab. Ob er mit einer Bühneninszenierung seiner abstrakten Novelle einverstanden gewesen wäre, bleibt wohl ebenso offen wie die Frage, ob deren Umsetzung durch das Landestheaters Schwaben als gelungen betrachtet werden kann. Zumindest regt sie jedoch zum Nachdenken und Diskutieren an.

Stefanie Riegel